Treibhausgasmessungen der Empa am Jungfraujoch zeigen lückenhafte Emissionsmeldungen
Schummelei in der Statistik?
Fluorkohlenwasserstoffe sind potente Treibhausgase, deren Emissionen gemäss Kyoto-Protokoll gesenkt werden müssen. Verlässt man sich auf die Meldungen der teilnehmenden Länder, nimmt in Westeuropa etwa der Ausstoss an Trifluormethan (HFC-23) in den letzten Jahren deutlich ab. Schadstoffmessungen der Empa belegen nun aber, dass einige Länder zu geringe Emissionen angeben. So stösst beispielsweise Italien zehn- bis zwanzigmal mehr HFC-23 aus, als es offiziell ausweist.
Legende: Forschungsstation Jungfraujoch auf 3580 Meter Höhe (Quelle: Jungfraubahnen) | |||
Internationale Vereinbarungen wie das Kyoto-Protokoll zur Senkung der Treibhausgasemissionen haben meist einen Haken: Ob sich die teilnehmenden Länder daran halten, lässt sich kaum unabhängig überprüfen. So beruht die Beurteilung, ob die Länder ihre Reduktionsziele erreicht haben oder nicht, auf den offiziellen Meldungen der Länder an die UNFCCC («United Nations Framework Convention on Climate Change»). Melden sie einen geringen Ausstoss, stehen sie gut da, andernfalls am Pranger. |
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Das könnte sich bald ändern. Schadstoffanalysen der Empa mit einem speziellen Gaschromatograph-Massenspektrometer namens «MEDUSA» – unter anderem in der Forschungsstation Jungfraujoch auf 3580 Meter Höhe – erlauben nicht nur, die Emissionsmengen von mehr als 50 halogenierten Treibhausgasen schnell und genau abzuschätzen; sie ermöglichen es dank atmosphärischer und meteorologischer Computermodelle auch, die Emissionsquellen regional zu identifizieren. Das ernüchternde Ergebnis: Westeuropa emittiert rund doppelt so viel Trifluormethan (HFC-23) wie offiziell deklariert. Eine entsprechende Studie ist vor kurzem in der Fachzeitschrift «Geophysical Research Letters» erschienen. |
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HFC-23-Konzentrationen auf dem Jungfraujoch: Tatsächlich gemessene (grau) und aus den offiziellen Inventaren berechnete Werte (dunkelblau) weisen eine grosse Diskrepanz auf; die Empa-Modellierung (rot) bildet die Messwerte deutlich besser ab. | ||
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«Unsere Ergebnisse zeigen, dass Messungen dieser Art tatsächlich geeignet sind, die Einhaltung internationaler Übereinkünfte zur Luftreinhaltung zu überprüfen», sagt Empa-Forscher Stefan Reimann von der Abteilung «Luftfremdstoffe/Umwelttechnik». Das Kyoto-Protokoll sähe zwar noch keine unabhängigen Kontrollmechanismen vor; in Folgevereinbarungen mit bindenden Emissionszielen könnten diese aber von zentraler Bedeutung sein. |
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«The ususal suspects»? |
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Etwa den Ausstoss an HFC-23, mit einer atmosphärischen Halbwertszeit von rund 270 Jahren extrem langlebig – und erst noch knapp 15'000-mal klimaaktiver als CO2. HFC-23 entsteht als Nebenprodukt bei der Herstellung von Chlordifluormethan (HCFC-22), das als Kühl- und Schäummittel und in der Teflonproduktion Verwendung findet. Der «Vorteil» von HFC-23: Es wird praktisch nur von HCFC-22-Fabriken emittiert. Und davon gab es 2008 in Westeuropa gerade mal sechs Stück. Reimann: «Wir kennen also die Punktquellen ganz genau.» Um die HFC-23-Mengen in der Atmosphäre über Westeuropa möglichst genau abzuschätzen, analysierten Reimann und sein Doktorand Christoph Keller von Juli 2008 bis Juli 2010 die HFC-23-Konzentrationen sowohl auf dem Jungfraujoch als auch in Mace Head, einer AGAGE-Messstation im Westen Irlands. Dabei fanden sie immer wieder rätselhafte Spitzen («Peaks»), die weit über der Durchschnittsbelastung lagen. Über atmosphärische Transportmodelle berechneten die Empa-Forscher, woher die belasteten Luftmassen kamen, die HFC-23 aufs Jungfraujoch verfrachteten – in erster Linie aus der einzigen HCFC-22-Fabrik Italiens westlich von Mailand. |
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Das UNFCCC-Inventar unterschätzt die tatsächlichen HFC-23-Emissionen teils massiv. Über Transportmodelle konnten die Messungen auf dem Jungfraujoch alle sechs Emissionsquellen punktgenau identifizieren. | ||
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«Sauberes» Italien: Seit 1996 fast keine
HFC-23-Emissionen mehr gemeldet |
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Insgesamt dürften sich die nicht rapportierten Mengen an «italienischem» HFC-23 auf 270'000 bis 630'000 Tonnen CO2-Äquivalent belaufen – in etwa der jährliche CO2-Ausstoss einer Stadt mit 75'000 Einwohner. «Erfreulich ist dagegen, dass wir vom Jungfraujoch aus Emissionsquellen "sehen", die mehrere hundert Kilometer entfernt sind», so Reimann. Um derartige Analysen global zu erheben, müsste allerdings das Netzwerk der Messstationen vor allem in Osteuropa und Ostasien ausgebaut werden. |
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